Putin will die Ukraine von innen zerstören
Wirtschafts Blatt, 01.12.2014
Im Interview. Laut Sergei Mitrochin, Vorsitzender der Russischen Demokratischen Partei Jabloko, nehmen die Russen die Sanktionen noch nicht wahr. Der russische Präsident profitiert, so der Oppositionelle, von der Krim-Euphorie und wolle die Ukraine zerstören.
WirtschaftsBlatt: Agiert der russische Präsident Wladimir Putin derzeit aus einer Position der Stärke oder aus einer Position der Schwäche?
Sergei Mitrochin: Putin will seine Macht demonstrieren und die Ukraine von innen zerstören, indem er den Konflikt so lange aufrechterhält, bis der ukrainische Staat daran zerbricht. Das ist die Revanche dafür, dass sich die Ukraine in Richtung EU entwickeln wollte. Diesen Weg will er verhindern.
Hätte die EU mit Putins harter Reaktion rechnen müssen? Hat sie ihn unterschätzt?
Man hätte vorhersehen können, dass er sich einmischt und nicht einfach zusieht und sich heraushält.
Durch die Einnahme der Krim hat Putin in Russland massiv an Popularität gewonnen…
Das ist offensichtlich. Es gibt eine regelrechte Krim-Euphorie. Die überdeckt die massive Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Russland, den Fall des Rubels gegenüber dem Dollar und dem Euro und andere schlimme Entwicklungen.
Das macht Ihren Job als Oppositionsführer schwieriger.
Ja, aber die Lage war für unsere liberale Partei nie besonders gut oder normal.
Welche Probleme haben Sie als russische Oppositionspartei?
Viele: Wir werden bei Wahlen diskriminiert, dürfen keine politische Werbung machen, keine Plakate aufstellen und haben so gut wie keinen Zugang zu Massenmedien wie dem TV.
Was müsste passieren, damit Putins Popularität sinkt?
Vielleicht eine dramatische, abrupte Geldentwertung. Viel hängt an den Öl- und Gaspreisen, die derzeit fallen und von denen die russische Wirtschaft abhängig ist. Nur wenn der Ölpreis stabil ist, bleibt Putin an der Macht. Bisher hatte er stets großes Glück, weil die hohen Ölpreise ihn gestützt haben.
Wie beurteilen Sie die Annektierung der Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine?
Unsere Position deckt sich mit jener der EU: Es ist eine Verletzung eines internationalen Rechts und sehr unfreundlich gegenüber der ukrainischen Nation. Das wird Russland in Zukunft eine Menge Probleme bringen, denn es hat selbst potenzielle Probleme mit Separatisten. Und es gibt ökonomische Folgen durch die Sanktionen. Wir steuern in Richtung einer ernsten Isolation. Russland wird auf Dauer nicht so fortfahren können.
Welche Rolle spielen die Sanktionen gegen Russland?
Noch nimmt kaum jemand wahr, dass die Abwertung des Rubels mit den Sanktionen zu tun hat. Aber früher oder später wird die Bevölkerung der Führung des Landes dafür die Schuld geben. Vor 100 Jahren hatten wir eine ähnliche Situation: Der Zar genoss während der ersten Monate des Ersten Weltkriegs kolossale Unterstützung in der Bevölkerung. Die realisierte drei Jahre später die ökonomische Katastrophe durch den Krieg, das führte zum Fall der Monarchie. Dieselben Konsequenzen könnten Putins Handlungen heute haben.
Wann wurde in Russland klar, dass Putin so lange die Geschicke des Landes leiten würde? Kam das überraschend?
Niemand, nicht einmal Putin selbst, hat das erwartet, nachdem er im Jahr 2000 Präsident wurde. Er sagte damals, dass er im Pensionsalter nicht mehr im Kreml sitzen werde. Doch längst sichert ihm die Kontrolle über die enormen Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas die Macht.
Solange er genug Geld aus dem Verkauf von Öl und Gas hat, sitzt er fest im Sattel?
Ja. Sollte er seine Macht aufgeben, wäre das sehr riskant. Denn unter Putin hat sich ein besonderes Korruptionssystem etabliert, das direkt mit ihm verbunden ist. Nur die Macht garantiert ihm persönliche Sicherheit.
Welches besondere Korruptionssystem meinen Sie?
Die fehlende Transparenz bei den gigantischen Geschäften mit Öl und Gas. Diese absolute Intransparenz hat einen weiten Personenkreis sehr reich gemacht. Das Ergebnis sind sehr große soziale Unterschiede, laut internationalen Studien ist Russland dabei führend. Die Spitze dieser Pyramide bezieht ihren Reichtum aus den intransparenten Rohstoffdeals.
Was sind Ihre Ziele für die nächste Wahl?
In zwei Jahren sind Duma-Wahlen, da wollen wir Fraktionsstärke erlangen. Dafür müssen wir fünf Prozent der Stimmen erreichen. Letztes Mal hatten wir dieses Ziel mit nur 3,5 Prozent verfehlt.
Erwarten Sie freie und faire Wahlen?
Nein, in Russland gibt es keine freien und fairen Wahlen. Trotzdem müssen wir unseren Kampf fortführen.
Woher nehmen Sie die Hoffnung auf einen Erfolg?
Russland ist unberechenbar. Noch Ende 1916 hatte Lenin gesagt, dass es keine Revolution geben werde, solange seine Generation lebe. 1917 war die Revolution da. Wir wollen die Ausrichtung der russischen Politik aber auf friedvolle und verfassungskonforme Art und Weise ändern. Den nach Revolutionen war es in Russland bisher immer schlechter als vorher. Daher müssen wir einen gewalttätigen Umsturz verhindern, wenn das gegenwärtige Regime immer schwächer wird und wir stärker werden. Das wird schwierig.
ZUR PERSON: Sergei Mitrochin, Parteichef Jabloko
In der Duma saß der 51-jährige Politikwissenschaftler für Jabloko von 1993 bis 2003, im Moskauer Stadtparlament von 2005 bis 2009. Seit 2008 ist er Oppositionsführer und Vorsitzender der Demokratischen Partei Russlands (Mitglied der Europäischen Liberalen).
(WirtschaftsBlatt, Print-Ausgabe, 2014-12-01)
http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/europa_cee/4608603/Putin-will-die-Ukraine-von-innen-zerstoren?
Posted: January 12th, 2015 under Russia-Ukraine relations.